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Die Israelitische Kultusgemeinde Baden

 

Am 9. Juni, 1859 wurde von sieben Männern eine jüdische Gemeinde gegründet, und zwar der Cultusverein Baden, der sich «die Pflege des Cultus, insbesondere Einrichtung eines gemeinsamen Gottesdienstes und religiöse Unterweisung der Jugend» zur Aufgabe machte. Bald folgte die Gründung einer Frauenvereinigung (1878), einer Wohltätigkeitsvereinigung sowie die eines Kegelclubs (Etz Tov). In den ersten Jahrzehnten fanden die Gottesdienste noch in gemieteten Räumlichkeiten statt (u. a. im «Berner Haus» sowie später im zunächst der Familie Bernhard Guggenheims gehörenden «Kaufhaus Schlossberg», im «Restaurant Krone» und an der Dynamostrasse).

 

Im Gründungsjahr der Gemeinde lebten 12 jüdische Familien in der Stadt. Die ersten Gemeindevorsteher waren Daniel Guggenheim und Louis Bernays (ein Sohn des Hamburger Oberrabbiners Isaak genannt Chacham Bernays). Die Gemeinde war von vornherein streng orthodox geprägt. Zuzug erhielt die Gemeinde insbesondere aus den Surbtal-Gemeinden Endingen und Lengnau. Ein charakteristisches Beispiel hierfür ist Jakob Salomon Dreifuss-Bollag (Urgroßvater der Bundesrätin Ruth Dreifuss), der Mitte der 1850er-Jahre aus dem Surbtal zuerst nach Baden gezogen war, um sich zwanzig Jahre später mit seiner Familie in Basel niederzulassen. An Einrichtungen bestanden alsbald ein Betraum beziehungsweise Synagoge (s.u.), eine Religionsschule, eine Armenpflege und (seit 1879) ein Friedhof.

 

Synagoge 

Den unmittelbaren Anlass zum Bau der eigenen Synagoge bildete – auf Basis der verstärkten jüdischen Zuwanderung aus Endingen, Lengnau sowie aus Osteuropa – eine geplante drastische Mieterhöhung für die bisher genutzten Räume im Kaufhaus Schlossberg. Am 2. September 1913 konnte die Synagoge – erbaut von den Architekten Otto Dorer (1851–1920) und Adolf Füchslin (1850–1925) – eingeweiht und ihrer Bestimmung übergeben werden. Sie ist bis heute das Zentrum jüdischen Lebens in Baden. Im Jahr der Gründung der jüdischen Gemeinde konnte ein Betsaal eingerichtet werden, nach einer Beschreibung von 1860 "ein recht schönes Lokal, das (...) sehr zweckmäßig eingerichtet ist". Die jüdischen Familien sorgten durch Spenden für die Einrichtung des Betsaales. So wurden 1861 gleich zwei Torarollen gespendet, die eine durch Louis Bernays, die andere auf Grund von Spenden der Gemeindeglieder. Dieser erste Betsaal war in einem Gebäude an der Weiten Gasse eingerichtet. 

 

Friedhof

Am 7. Dezember 1877 hatte die Gemeinde das Gesuch an den Regierungsrat des Kantons Aargau gerichtet, der von den örtlichen Behörden bereits genehmigten Anlage eines eigenen Friedhofs zuzustimmen. Die Direktion des Inneren hatte das Gesuch befürwortet, da einerseits aus sanitären Gründen eine Verbringung der Leichname verstorbener Gemeindemitglieder auf den vorhandenen jüdischen Friedhof von Endingen-Lengnau nicht gewünscht war und andererseits respektiert wurde, dass «Juden aus religiösen Gründen sich nun einmal nicht dazu verstehen können, ihre Toten christlichen Friedhöfen anzuvertrauen». Die Zustimmung wurde am 22. Februar 1878 erteilt und 1879 dann das Kerngrundstück des Friedhofes erworben.

 

Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde wurde ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Zur Zeit der Gemeindegründung 1859 wurde der Unterricht noch durch Lehrer Dreifuß aus Endingen erteilt, bis ein eigener Lehrer angestellt werden konnte. 1859/60 war als erster Lehrer Jacob Werner in der Gemeinde, der jedoch 1860 die Gemeinde wieder verließ. Von 1883 bis 1904 war Lehrer in der Gemeinde Baden Michel (Michael) Neuberger (gest. 1930 in Lengnau). Auf Lehrer Neuberger folgte Lehrer Joseph Fröhlich, der 1913 die Weihepredigt bei der Einweihung der neuen Synagoge hielt.       

 

Zunächst war die Gemeinde Baden dem Rabbinat Endingen-Lengnau zugeteilt (1861-1870 Dr. Meyer Kayserling, 1872-1881 Rabbiner Salomon Bamberger), bis das Rabbinat 1885 nach Baden verlegt wurde und für einige Jahrzehnte als Bezirksrabbinat für mehrere jüdische Gemeinden in der weiteren Umgebung Zuständigkeit hatte. Der erste Bezirksrabbiner Badens war von Anfang 1886 bis 1903  Dr. Herz Ehrmann (1849-1918),  zuvor Rabbiner in Karlsruhe und Trier. Er war zuständig für die Gemeinden Baden, Endingen, Lengnau, Luzern (eigenes Rabbinat ab 1919), Bremgarten, Rapperswil und einen Teil der Kultusgemeinde Zürich sowie für jüdische Familien, die in anderen Orten der Region lebten. Im Rahmen seiner Zuständigkeit als Bezirksrabbiner weihte Dr. Ehrmann beispielsweise im März 1887 den jüdischen Friedhof in Luzern ein.  

 

Vereine

An Vereinen hatte die Gemeinde eine Chevra Kadischah (Zweck und Ziel: Liebestätigkeit bei Krankheits- und Sterbefällen, Präsident 1918: Herr Leopold Guggenheim), einen Frauenverein (Zweck und Ziel: Fürsorge für Arme und Kranke; 1917/19 Präsidentin Frau von Louis Wyler), den Verein Kijum Haemunah (Zweck und Ziel: Förderung des Toralernens, 1917/19 Präsident: Isidor Bollag) und den Brautausstattungsverein Hachnosas Kalloh (Zweck und Ziel: Subventionierung armer Bräute; Verwaltung 1917/19 durch den Gemeindevorstand).     

 

1916 gehörten der Gemeinde 52 Gemeindemitglieder (ca. 200 Personen) an. Den Gemeindevorstand bildeten damals: Adolf Guggenheim (Präsident), Samuel L. Guggenheim sowie Louis Wyler. Als Lehrer (Beamter) der Gemeinde war Joseph Fröhlich tätig. Veränderungen gab es laut den folgenden Jahrgängen des "Jüdischen Jahrbuches für die Schweiz" wie folgt: 1917/19 werden 48 Gemeindemitglieder mit ca. 200 Personen genannt. Jüdischen Familien gehörten mehrere Geschäfte und Gewerbebetriebe in der Stadt (Textilgeschäfte, jüdisches Restaurant "Zum Löwen", "Zum Rothen Schild", jüdisches Hotel "Centralhof"). Es gab jüdische Ärzte und Rechtsanwälte. Das damalige "jüdische Quartier" lag zwischen Löwenbrunnen, Theaterplatz und Schlossbergplatz. Die jüdischen Geschäfte waren vorwiegend in der Badstraße und in der Weiten Gasse angesiedelt. Die jüdischen Familien wohnten mehrheitlich an der Zürcher- und an der Mellingerstraße, aber auch in der Halde. 

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